Mit den Megatrends das Business von morgen gestalten
Das FURNITURE FUTURE FORUM war am Donnerstag, 15.06.2023 mit über 100 Teilnehmenden die Trend-Plattform im Herzen der Einrichtungsbranche. Die Initiatorin Katrin de Louw hatte vier Expert:innen eingeladen, die dem Publikum wichtige Denkanstöße für Umbruchzeiten lieferten. Die vorgestellten Megatrends zogen sich wie rote Fäden durch alle Vorträge: Digitalisierung, Demografie und Nachhaltigkeit.
The Silver Upgrade: Wohnkultur und demografischer Wandel
Irmy Wilms-Haverkamp, Geschäftsführerin von Köhler & Wilms, Designerin und Trend-Expertin, möchte mit einem „Silver Upgrade“ den demografischen Wandel positiv gestalten. Alles andere wäre fatal, denn sie sieht einen demografischen Tsunami auf die Gesellschaft zukommen, weil die Babyboomer, die zwischen 1955 und 1969 geborenen Jahrgänge, sukzessive in den Ruhestand treten. Damit geht einher, dass die Zahl der Einpersonenhaushalte steigt und das Risiko der Vereinsamung zunimmt. Die aktuelle Situation: Nur 30 Prozent des Wohnraums der Babyboomer sind barrierefrei, und es gibt viel zu viel überdimensionierten Wohnraum. Warum fehlt es also an Visionen für das Silver Living?
Dabei gibt es so viele Ansatzmöglichkeiten neu zu denken, wie Irmy Wilms-Haverkamp aufzeigte: Beispiel digitale Konnektivität, denn Verknüpfungen ermöglichen neue Wohnlösungen. Ambient Assisted Living (kurz: AAL, auch: altersgerechte Assistenzsysteme für ein umgebungsunterstütztes, gesundes und unabhängiges Leben) steht für verschiedene Technologien, die pflegebedürftige Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags inner- und außerhalb der eigenen vier Wände unterstützen. Es ermöglicht den Menschen Unabhängigkeit, Versorgung, Teilhabe und Inklusion. Die Technologien sind vorhanden, aber sie werden bisher wenig verbaut und genutzt. Die Realität ist von bedarfsgerechten Wohnlösungen weit entfernt: Der Baubestand ist vielfach veraltet, Energieeffizienz meist Wunschdenken.
Durch die Transformation der Städte entstehen neue Möglichkeitsräume – Handelsflächen werden frei, traditionelle Bürokonzepte stehen auf dem Prüfstand. Schlagwörter des Paradigmenwechsels sind Reduktion und Verdichtung. Downsizing sollte vielmehr als das begriffen werden, was es in der Regel ist: eine Qualitätssteigerung. Darin liegt ebenfalls eine kreative Aufgabenstellung für das Möbel-Design.
Auch Sharing-Konzepte sind denkbar, schließlich sind Babyboomer WG-erfahren und haben ein anderes Mindset als die Generationen zuvor. Wo sind also die Silver-Kommunen? Der Aufruf von der Wohn-Expertin: „Lasst uns positive Räume für Senioren schaffen!“ Mit viel Grün, matten und natürlichen Oberflächen und weichen Formen – und auch mit mehr Farbe gegen das graue Alters-Klischee.
Irmy Wilms-Haverkamp sieht Ikea als silbernen Vorreiter, denn die schwedische Marke packt den demografischen Wandel an. Beispiel: die „SilviaBo“-Siedlung, die für demente Bewohner:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen gebaut und mit Möbeln von Ikea ausgestattet ist. Und die für ein älteres Publikum konzipierte Kollektion „Omtänksan“ wird in Zukunft sicher noch ausgebaut werden. Idealismus ist dabei nur ein Motiv. Denn mit dem demografischen Wandel entsteht auch ein riesiger Konsumgüter-Markt, wie das Buch „Stage (not Age)“ von der Autorin Susan Wilner Golden verdeutlicht.
Future Office – ein Ökosystem im ständigen Wandel
Büroflächen sind im Umbruch. Inken Johanne Gierow, Geschäftsführende Gesellschafterin Design & Innovation bei Joppich & Rieckhoff Handelsgesellschaft für Büroeinrichtungen mbH, ging darauf in ihrem Vortrag, „Future Office – ein Ökosystem im ständigen Wandel“ ein. Die New-Work-Expertin stellt bei jedem Projekt die Frage nach dem Warum. Was soll eine Bürofläche für ein Unternehmen bewirken? Die größten gemeinsamen Nenner für Flächenumgestaltungen sind derzeit der War for Talents, die digitale Transformation und mehr Flächeneffizienz. Diese Eckpfeiler werden allerdings von jedem Unternehmen anders in den Boden geschlagen, deshalb gibt es nicht das eine Konzept, denn New Work ist in erster Linie eine Frage der Unternehmenskultur.
Das Büro feiert nach der Pandemie eine Renaissance. Studien besagen, dass das Homeoffice nicht die optimale Arbeitsweise ist, weil es meist ein einsamer Work-Modus ist. Aber: Welche Funktionen müssen Büroräume heute erfüllen, damit die Mitarbeitenden sich dort wohlfühlen und effizient arbeiten können? Planungsfaktoren sind: Flexibilität der Zeit, Flexibilität des Ortes, Arbeitsmethoden und Work-Tools sowie technische Voraussetzungen. Unternehmen sollten den Raum als strategische Ressource begreifen, rät Inken Johanne Gierow, denn 76 Prozent aller Angestellten lassen sich bei ihren Job-Entscheidungen von der Ästhetik eines Büros beeinflussen. Wow-Effekte sind demnach auch ein wirksames HR-Tool und es ist Zeit für neue Designprinzipien wie Single & Shared Areas, Fix vs. Fluid Concepts, Open Space und Konnektivität. New-Office-Prinzipien bestehen darin, den Menschen eine gesunde Körperhaltung zu ermöglichen, Außenräume nach innen zu holen und Materialien reflektiert einzusetzen, weil sie die Sinne stimulieren (können).
Möbeldesign in der Zeitenwende – welche Designstrategien an Bedeutung gewinnen
Im Zentrum des Branchentages im FURNITURE FUTURE FORUM stand der neue „Trendfilter Report 2023“, der frisch zum Event fertig geworden ist. Schon lange ist der Katrin de Louw das Reden über kurzlebige Interior-Trends „zu kurz gesprungen“. Sie beschreibt das Möbeldesign in der Zeitenwende und fragt danach, welche Designstrategien aktuell an Bedeutung gewinnen, um langfristig neue Geschäftsfelder zu bewirtschaften. Im Kern sieht sie dafür vier große Leitlinien:
- Color: Fröhliche Farben, „Happy Colors“ sind gefragt, die in der Ausführung aber eher matt oder metallisch und nicht knallig sind. Warme und kalte Farben sind oft im Mix zu sehen, aber die Kombination ist dabei das alles Entscheidende. Die Wirkung der Farben ist anregend und vitalisierend. Auf der anderen Seite sind auch viele Neutrals zu sehen, also beruhigende, sanfte Farben.
- Customer Benefits: Wie kann Design das Leben vereinfachen und verbessern? Ein Riesentrend ist das „Biophilic Design“ zur Gesundheitsförderung, bei dem die Natur gestalterisch Einzug in unsere Innenräume und Städte hält. Ebenfalls gefragt sind Systemmöbel und raumübergreifende Lösungen. Es geht darum, nicht mehr in Produktkategorien, sondern in Lebensräumen zu denken. Designer arbeiten zudem daran, Alltagsprobleme gestalterisch neu zu lösen.
- Sustainability: Ein Megatrend, der in neuen Materialien, der Suche nach Alternativen, und der Kreislaufwirtschaft seinen Ausdruck findet. „Make it simple demountable“ ist ein Leitsatz, denn Materialien werden zukünftig noch viel teurer werden. Gefragt sind deshalb kompostierbare Möbel und modulare Bauweisen, um Bauteile einfacher ersetzen zu können. Auch Pfandsysteme werden in weiteren Produktbereichen Einzug halten.
- Digitization: Die Digitalisierung eröffnet völlig neue Gestaltungsmöglichketen („Digital Design Support“). Mit 3D-Druck wird die Formensprache auch wieder schmuck- und ornamenthaft. Im Verkauf lässt sich KI als Service-Tool sehr gewinnbringend nutzen.
Lieferkettenmanagement – Neue Software für eine robuste und nachhaltige Transformation
Ein faszinierendes digitales Beispiel, wie sich mit Green Tech der wirtschaftliche Wandel positiv gestalten lässt, zeigte Louis Schulze, Gründer von sustaind, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Lieferkettenmanagement mit digitalen Mitteln in den Griff zu bekommen. Das Start-Up sustaind analysiert und reportet Materialdaten, CO2-Emissionen und Beschaffungsrisiken und halbiert so den Aufwand für wiederkehrende Datensammlungen. Eine KI identifiziert daraufhin Handlungsfelder, schlägt Ersatzmaterialien und Maßnahmen vor, um den profitabelsten Weg zu nachhaltigen Zielen zu erleichtern. Das Monitoring von KPIs zur Berechnung der Rentabilität führt letztlich zu neuen Geschäftsfeldern und -modellen.
Reset! Wie sich die Interior & Möbel-Branche neu erfinden kann
Den „Reset“-Knopf drückte abschließend, Dr. Jens-Uwe Meyer, Vorstandsvorsitzender der Innolytics AG, Autor und Experte für Digitalisierung und Zukunftsstrategien. Sein Ansatz: Disruption lässt sich nicht verhindern, die Frage ist nur, wer sie umsetzt. Anpassungsfähigkeit ist überlebenswichtig: Blockbuster ist verschwunden, Nintendo nicht.
Dr. Jens-Uwe Meyer ging ebenfalls auf die drei Megatrends, Digitalisierung, Demografie und Nachhaltigkeit ein und stellte fest: 1. Die Digitalisierung 2019 ist nicht mehr Digitalisierung 2023. Die neue KI-Qualität ist frappierend und der schon jetzt erreichte Produktivitätsanstieg schwindelerregend. Das lässt sich zum Beispiel für bessere Ergebnisse bei Mustererkennungen nutzen. 2. Durch die neuen Nachhaltigkeits-Normen entsteht ein riesiger Markt. Insbesondere in der Landwirtschaft entstehen innovative Praktiken und Formate wie das Vertical Farming. 3. Der Fachkräftemangel trifft uns immer schlimmer, deshalb funktioniert der Service und die Infrastruktur in den westlichen Gesellschaften gerade nicht. Technologie kann helfen, das Dilemma zu lösen: Wie können wir Services ohne menschliche Arbeitskraft umsetzen?
Auf Unternehmensebene ist Innovationskraft gewünscht, in der Realität ist das aber meist ein frommer Wunsch: Es braucht deshalb ein Managementsystem für ehrliche und transparente Innovation, das die drei wesentlichen Eckpunkte Strategie + Kultur + Projekte berücksichtigt. Wichtig sind klare, messbare Ziele, um Innovation navigierbar zu machen. Innovationsbarrieren müssen aus dem Weg geräumt werden. In der Praxis führen fehlende Offenheit, fehlende Begeisterung und fehlende Transparenz häufig zu Zombie-Projekten. Der wirkmächtigste Trigger für Innovationen: Unzufriedenheit. Das Gefühl, dass es noch besser gehen könnte…
Weiter geht es im Programm des ganzjährig geöffneten FURNITURE FUTURE FORUM mit den „MÖBELVISIONEN“, und zwar am 9. November 2023. Dann stehen neue Prozesse, Konzepte und Materialien für die gesamte Einrichtungsbranche auf der Agenda.
Wer Interesse hat, kann sich gern für den Einladungsverteiler hier eintragen.